Zeitzeugen.

Kriegskinder sind in. Kriegsenkel sind im Kommen. Bald schlägt meine Stunde als Kriegs-Urenkelin: Mein Urgroßvater Carl-Heinrich Krüger kam 1847 in Jacobshagen/Hinterpommern zur Welt, kurz vor der Märzrevolution. Schon im 17. Jahrhundert war Jacobshagen Schauplatz von allerlei Katastrophen wie Hexenverfolgung, Pest, Hungersnot und dem 30jährigen Krieg. Wer Jacobshagen googlet (oder besser metagert), fischt viel Vertriebenes aus dem Netz, was sich später ja auch als Verdrängtes herausstellte – in der DDR noch mehr als im Westen. Ur-Opa aber wurde nicht vertrieben, er war schon vorher weg. Wohl wegen der vielen Brände: immer wieder das Dorf neu aufbauen, das hält der beste Schneidermeister nicht aus. Sicher war Ur-Opa kriegstraumatisiert. Auf der Suche nach Ruhe und Sicherheit kam er nach Hamburg. Als er 1874 im Michel Lina Brockmann ehelichte, war der Deutsch-Französische Krieg eben vorbei. Lina war 1850 in West-Meck-Pom zur Welt gekommen, als nebenan der Schleswig-Holsteinische Krieg tobte. Vermutlich war Ur-Opa gut beraten, als er 1909 das Zeitliche segnete (offenbar ohne Erfolg). Der später sogenannte Erste Weltkrieg blieb ihm erspart. Seinen vier Söhnen nicht. Lina hielt bis 29.2.1932 durch. Im Alter erblindete sie. Man kann es verstehen.

„Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“ verkündet Sabine Bode 2004 im Titel ihres Buches „Die vergessene Generation“. Vollmundig fügt die Welt am Sonntag hinzu: „...ein fundiertes Buch über ein Tabu, das über ein halbes Jahrhundert auf seine Aufarbeitung wartete.“ Auf Sabine Bode eben. Nun, geschwiegen haben wir ja nicht. Als wir einigermaßen zu Bewusstsein kamen, fand der Auschwitz-Prozess statt. Das und der Vietnam-Krieg prägten diese Generation auch. Vergessen konnte man uns auch nicht. Wir waren einfach zu laut: als randalierende Rocker, bekiffte Hippies, nackte Kommunarden („Wer zweimal mit demselben pennt…“), Revoluzzer der 68er Generation, mörderisch als RAF (Rote Armee Fraktion), dann auf unserem Marsch durch die Institutionen zu erfolgreich mit Joschka Fischer, mit Gerhard Schröder in der Regierung, einige sogar auf Tuchfühlung mit der Russen-Mafia (vielleicht versprengte DKP-, Antifa-, KPD-, KB-Erinnerungen?). Und eines Tages werden wir es sein, die für bessere Zustände in Altenheimen sorgen

In der ARD-Serie „Kriegskinder“ kamen wir wieder zu Wort. Vom Schicksal einer Generation ist die Rede und – pompöser – von Transgenerationaler Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten und davon, wie wir unsere Wunden heilen. Eine Menge Stoff.

Und das ist auch gut so. Aber die erste Welle ist es nicht. Seit Jahrzehnten sind wir Thema. Oder machen uns dazu. Aber die erste Aufarbeitung verschwand wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein. Mitte der 80er Jahre folgte die zweite. Maikäfer flieg ist ein altes Kinderlied aus der Zeit des 30jährigen Kriegs. Christiane Nöstlingers Kinderbuch (1976) trägt denselben Titel. Und Peter Heinls berührende Darstellung seelischer Wunden aus der Kriegskindheit (1993) ebenfalls. Seminare zum Thema leitete der Psychiater und Familientherapeut schon in den 80er Jahren. Auch die Zeitschrift Brigitte widmete Kriegskindern viele Seiten. „Nie wieder Krieg“ hieß das erste Dossier 1985. Leserinnen schilderten ihre Erinnerungen in überwältigender Fülle. Noch heute existieren mehrere Aktenordner mit ihren Texten. Gruner+Jahr entschied sich damals gegen ein Buch: nicht genug Interesse, fand man. Und vielleicht traf das zu. Damit die Berichte nicht verschwinden, stehen einige davon auf dieser Homepage, ebenso wie meine Artikel zum Thema.

Nur wenn wir das Wissen wach halten und verbinden, können wir auf Veränderung hoffen.


01.09.2015 17:42


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